Quelle: ak 592, 18.3.2014
Diskussion FlüchtlingsgegnerInnen und RechtspopulistInnen – die antifaschistische Bewegung vor neuen Herausforderungen
Dresden, Februar 2012 – erstmals sagen die Neonazis ihren jährlichen Aufzug anlässlich der Bombardierung der Stadt im Februar 1945 ab. Lange Zeit nahezu ungestört konnten sie vor der historischen Kulisse der Dresdner Altstadt ihre »Trauermärsche« durchführen. Seit Ende der 1990er Jahre hatte sich das Event in Dresden zu dem bedeutendsten Neonaziaufmarsch in Europa entwickelt. Im Jahr 2009 waren es 7.000. Nach drei Jahren intensiver antifaschistischer Bündnisarbeit war der Großaufmarsch in Dresden durch die Entschlossenheit Tausender endlich Geschichte geworden. Zehntausende zogen ausgelassen und stolz auf das Erreichte durch die Straßen der Stadt.Das ist zwei Jahre her. Derweil ist viel passiert. Auf der einen Seite hat sich das Konzept von Massenblockaden gegen Naziaufmärsche unter dem Label »Stadt X nazifrei« erfreulicherweise verselbstständigt. Ziviler Ungehorsam in Form von Massenblockaden mit einem Aktionskonsens, der es vielen Menschen ermöglichen soll, sich zu beteiligen – dieses Konzept hat mittlerweile Modellcharakter und findet Nachahmung in vielen anderen Städten.
Andererseits hat die rassistische Mordserie des NSU gezeigt, welches mörderische Potenzial in der militanten Naziszene existiert. Und inzwischen ist auch wieder ein drastischer Anstieg von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte zu verzeichnen. Selbst das Bundeskriminalamt zählte im vergangenen Jahr 58 Anschläge. Landauf, landab bilden sich Bürgerinitiativen, sobald bekannt wird, dass in der Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim eingerichtet werden soll – nicht selten stecken dahinter die NPD oder andere organisierte Neonazis. Antifaschistische »Feuerwehrpolitik« ist oftmals die Antwort. Noch reicht das an vielen Orten aus, um das Schlimmste zu verhindern. Denn anders als in den 1990er Jahren kann das rassistische Bündnis zwischen Bürgermob und Neonazis nicht auf die Unterstützung von Medien und Politik zählen.
Und dann ist da noch die Alternative für Deutschland (AfD). Lange Zeit galt das Diktum »Rechts von der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben«, ausgegeben 1986 vom damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß angesichts der Wahlerfolge der Republikaner in Bayern. Als im Jahr 2010 Thilo Sarrazin seine sozialchauvinistischen und antimuslimischen Tiraden unters Volk brachte, erklärte fast jedeR Fünfte, sich vorstellen zu können, einer rechtspopulistischen Protestpartei die Stimme zu geben. Die Truppe um Bernd Lucke schickt sich nun an, dieses Feld zu bestellen. Ihr Einzug in das Europaparlament bei den Wahlen im Mai dürfte nicht mehr zu verhindern sein. Wie diesem Gegner begegnen? Diese Frage treibt die Antifa um – und viele ahnen, dass man mit klassischer Antinaziarbeit der AfD nicht beikommen wird.
Die EU-Kritik der AfD fällt auf fruchtbaren Boden, weil sie einer verbreiteten Stimmung in der Mitte der Gesellschaft Ausdruck verleiht. Mit ihren wohlstandschauvinistischen, marktradikalen, nationalistischen und kulturalisierenden Positionen entspricht sie einer weitverbreiteten rassistischen Krisenerzählung, die die Ursachen der Wirtschaftskrise auf die vermeintlich »faulen Griechen« und »Siesta-Spanier« schiebt. Ohnehin haben Rassismus und Nationalismus im Zuge der Krise in ganz Europa zugenommen.
Wie man offen auftretende Neonazis bekämpfen kann, das weiß die Antifa – und ist dabei sogar meist erfolgreich. Ratlosigkeit entsteht, wenn man es nicht mit offen agierenden Neonazis zu tun hat. Dann ist das Handlungsrepertoire rasch erschöpft. Vor diesem Hintergrund ist die antifaschistische Bewegung gut beraten, sich intensiv mit den rechten Formierungen und dem Wechselspiel mit dem »Extremismus der Mitte« zu beschäftigen. Eine erste Gelegenheit kann der Kongress »Antifa in der Krise?!« bieten, der vom 11. bis 13. April in Berlin stattfinden wird.
Martin Beck