Quelle: taz, 11.4.2014
Der Antifaschistischen Aktion fehlen Gegner und Nachwuchs. Stattdessen rücken rechte Populisten in den Fokus – und Sozialpolitik.
DAS INTERVIEW FÜHRTE JULIANE SCHUMACHER, CHRISTIAN JAKOB
taz: Herr Obens, am Sonntag findet in Berlin der erste Antifa-Kongress seit Jahren statt, unter dem Titel „Antifa in der Krise“. Bezieht sich das nur auf die Wirtschaftskrise?
Henning Obens: Der Titel ist auf jeden Fall doppeldeutig gemeint. Er bezieht sich auf die Wirtschaftskrise – die hat neue Formen von Rassismus herausgebracht, einen Nord-Süd-Chauvinismus, der die Krise auf die „Faulheit“ oder Unfähigkeit der Südeuropäer schiebt. Das haben die Medien deutlich zum Ausdruck gebracht: „Pleite-Griechen“, „Zyprioten“, „Siesta-Spanier“. Aber mit der Krise ist auch die Krise der Antifa gemeint.
Hat die Antifa in den letzten Jahren nicht eher an Akzeptanz gewonnen?
Martin Peters: Der Redstuff-Versand hat Antifa als eine Marke etabliert und damit das Symbol bekannter gemacht. Man kann heute auf einer Demo problemlos die Antifa-Fahne mit sich tragen, das ist akzeptiert. Und die Blockaden von Nazi-Aufmärschen, vor allem in Dresden, das war natürlich ein Erfolg.
Obens: Dieses Blockade-Konzept wird heute an ganz vielen Orten eingesetzt, nicht mehr nur von der Antifa, sondern von breiten, zivilgesellschaftlichen Bündnissen, die damit Nazi-Märsche durch ihre Städte verhindern.
Hat die Antifa ihr Alleinstellungsmerkmal verloren?
Obens: Nein, das ist eine sehr positive Entwicklung. Die Krise der Antifa liegt auf mehreren Ebenen. Zum einen ist es ein Nachwuchsproblem. Zumindest für Berlin und Hamburg kann ich sagen, dass die Zahl der Antifa-Gruppen enorm abgenommen hat die letzten Jahre. Wir haben mit „à gauche“ jetzt eine Nachwuchsgruppe. Ob dadurch wieder mehr Leute dazukommen, muss sich zeigen. Es gibt aber auch eine Unklarheit über die Frage: Welche Rolle nimmt die Antifa eigentlich ein?
Das war früher klar: Die Antifa waren die, die sich gut mit Nazis auskennen.
Obens: Diese Expertise ist auf die Projekte übergegangen, die der Staat finanziert, die Opferberatungsstellen, die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus. Da gab es einen gewissen „Braindrain“. Den Bewegungen sind ihre fittesten Leute abhanden gekommen. Aber das Problem liegt auch daran, dass die Nazi-Schlägertrupps heute nicht mehr das Hauptproblem darstellen.
Peters: Das kommt auf die Perspektive an. Für die Antifas, die sich bequem in ihren linken Quartieren in den Metropolen eingerichtet haben, mag das so aussehen. Aber wenn man mal an den Stadtrand fährt, sieht das ganz anders aus. Trotzdem stimme ich dir zu: Die klassische Antifa-Strategie des „Search and Destroy“, also das Aufspüren, Outen oder Angreifen von Nazis, das ist vorbei.
Zeigt die Aufdeckung des NSU nicht, dass genau das nötig ist?
Peters: Der NSU ist 2000 in den Untergrund gegangen. Er ist ein Phänomen dieser Zeit, eine sehr radikale Form von Widerstand gegen Entwicklungen und Debatten, die in dieser Zeit begannen: dass sich Deutschland allmählich als Einwanderungsland verstand. Das war genau die Zeit, als sich Teile der Antifa dem staatlich bezuschussten Antifaschismus zuwandten.
Der Antifa ist also der Gegner abhandengekommen?
Obens: Er hat sich verändert. Wir haben eine ganz andere Situation als in den 1990ern. Auch jetzt hetzen rechte Parteien gegen Flüchtlingsheime, aber anders als vor 20 Jahren stehen die Medien und die Politik nicht auf ihrer Seite. In weiten Teilen der Gesellschaft, nicht nur im linken Milieu, ist Faschismus nicht akzeptiert. Aber gleichzeitig gibt es in ganz Europa im Zuge der Krise heftige Verschiebungen nach rechts, überall gewinnen rechtspopulistische Parteien. Sarrazin, jetzt die AfD. Wir sind plötzlich mit einem Extremismus der Mitte konfrontiert, gegen den die klassischen Antifa-Strategien nichts bringen.
Peters: Was wir bisher gemacht haben, etwa NPD-Mitglieder in ihren Vierteln oder der Presse „outen“, das funktioniert bei der AfD nicht. Das Einzige, was wir als Antifa derzeit machen, ist das Aufdecken von Kadern anderer rechter Parteien in der AfD. Damit machen wir genau das Gleiche wie auch die SPD oder die Grünen. Das ist zu wenig. Die Antifa muss davon wegkommen, nur auf klassische Nazi-Parteien wie die NPD zu schauen, und ökonomische Fragen einbeziehen.
Ist das Problem tatsächlich neu? Versuche, neue rechte Parteien zu etablieren, gab es immer wieder, und sie sind immer gescheitert.
Obens: Die AfD unterscheidet sich davon, sie ist keine neue NPD. Das ist ein Elitenprojekt. Es ist spannend zu sehen, woher die meisten Kader kommen. Die stammen alle aus der politischen Elite. Leute, die Angst haben, vielleicht auch im Rahmen des europäischen Projekts, ihre privilegierte Rolle zu verlieren, nicht mehr Flüsterer am Ohr der Herrschenden zu sein.
Peters: Aber die Wähler der AfD stammen nicht aus der Elite. Das geht quer durch alle Schichten. In Berlin zeigt sich trotzdem: Die höchsten Stimmenanteile hat sie dort, wo auch die NPD viele Wähler hatte. Und bei Leuten, die sich eigentlich als eher unpolitisch verstehen.
Obens: Die AfD ist aber keine klassisch rassistische Partei.
Peters: Das kommt darauf an, was man unter Rassismus versteht. Die AfD vertritt keinen biologischen Rassismus. Offener Rassismus ist bis weit in die Mitte der Gesellschaft abgelehnt. Aber eben nur in seiner biologischen Form. Dafür hat sich der Rassismus in seiner kulturalistischen Form bis weit in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet. Seit man von „Kultur“ redet und nicht mehr von Rassen, kann jeder Rassist sein.
Obens: Die AfD vertritt Neoliberalismus in seiner extremsten Form, mit all der Verachtung und Ablehnung für Arme, Schwache. Im Grunde ist das ein gigantisches Umverteilungsprojekt, von unten nach oben. Die Gefahr ist, dass die Etablierung dieser Partei eine Rechtsverschiebung der Gesellschaft bewirkt.
Und es gibt keine Idee, was die Antifa gegen die AfD unternehmen kann?
Peters: Doch. Jetzt zur Europa-Wahl drucken wir Flyer, auf denen Auszüge aus dem AfD-Programm stehen, und die werfen wir genau in den betroffenen Gegenden in die Briefkästen. Die Leute sollen sehen, wofür die Partei eigentlich steht: Für Sozialabbau, dafür, dass Arbeitslosen das Wahlrecht entzogen werden kann. Die AfD hat eine enorm gute Selbstvermarktungsstrategie – wenn sie offen sagen würde, was sie eigentlich anstrebt, hätte sie längst nicht solch einen Erfolg. Ihre Pläne würden genau denen schaden, die sie umwirbt: den Armen, Abgehängten.
Obens: Da seid ihr weiter als wir. Wir stehen da erst am Anfang einer Diskussion: Wie kann man auf diese veränderten Koordinaten reagieren? Bisher haben wir keine Krisenerzählung, die wir der der rechten Parteien entgegensetzten können. Klar ist nur, dass wir dabei die Chance und Notwendigkeit für einen neuen Internationalismus haben. Dabei dürfen wir uns auch nicht scheuen, von Klassenkampf zu sprechen.
Die Rückkehr der Klassenkämpfe?
Obens: Das klingt nach einem antiquierten Wort, aber es trifft den Kern. Die AfD macht sich die diffusen Krisenängste der Mittelschichten zunutze. Dem muss man etwas entgegensetzen.
Das macht doch schon die Linkspartei.
Obens: Ein klassenkämpferischer Anspruch ist kein Privileg der Linkspartei. Wir müssen eine Gegenmacht organisieren, und dazu braucht es breite Bündnisse. Wir haben 2008, zu Beginn der Krise, einen guten Anfang gemacht mit der Demonstration „Wir zahlen nicht für eure Krise“. Wir sind Teil der interventionistischen Linken und darüber auch an den Blockupy-Protesten beteiligt.
Peters: Das ist alles so abgehoben, so abstrakt. Wir müssen in unserer Arbeit praktischer werden. Rein in die Stadtquartiere, mit den Menschen zusammen an ihren alltäglichen Probleme ansetzen. Gerade in Berlin ist die linke Szene vollkommen abgekoppelt von der Realität der Stadt. Es gibt linke Strukturen, Häuser oder Läden, aber es gibt keine Jugendarbeit. Die Aktivisten kommen aus anderen Städten, studieren an der Uni, haben ihre Politgruppe, ihre zwei oder drei Stammkneipen, sie leben in einer Art Parallelwelt und kommen gar nicht mehr in Kontakt mit den Problemen der Stadt. Das fängt ja schon bei den linken Räumen an: Wer darf denn da rein?
Obens: Das stimmt so nicht. Wir bemühen uns, auch in lokalen Bündnissen präsent zu sein. Ein Teil unserer Gruppe ist an den Protesten gegen hohe Mieten und Gentrifizierung beteiligt.
Die Antifa macht Sozialpolitik?
Peters: So neu ist das nicht. Es gab auch früher eine Tradition der autonomen Stadtteilarbeit, von der noch einzelne Kneipen und soziale Zentren übrig sind.
Obens: Aber es gibt aktuell eine Tendenz: Raus aus der autonomen Abschottung, hin zu breiteren gesellschaftlichen Bündnissen. Wir nehmen unsere Aktionsformen mit, das ist das, was wir beitragen können. Unsere Blockadetaktiken funktionieren auch bei Zwangsräumung. Als ich gesehen habe, dass die Schlecker-Frauen, die abgewickelt werden sollten, sich vor der Zentrale auf den Boden gesetzt haben – das hat mich gefreut.
IM INTERVIEW:
MARTIN PETERS ist Mitglied bei Rassismus tötet. Die Kampagne gründete sich 2012 zum 20-jährigen Jubiläum der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen.
HENNING OBENS ist Mitglied bei Avanti – Projekt undogmatische Linke. Avanti ist Teil der interventionistischen Linken, eines deutschlandweiten Zusammenschlusses linker Initiativen.