Quelle: ak 592, 18.3.2014
Gegen die rassistischen Mobilisierungen im Erzgebirge helfen nur langfristige Konzepte
Schneeberg – dieser Ort ging im Herbst vergangenen Jahres durch alle Medien. Hunderte protestierten hier gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Bereits an dem ersten Fackelmarsch am 18. Oktober 2013 nahmen über 800 SchneebergerInnen und angereiste Neoazis teil. »Lichtellauf« wurde er verharmlosend genannt, in Anlehnung an die erzgebirgischen Lichtelfeste. Neonazikader Stefan Hartung (NPD) hatte hierzu unter dem bürgerlichen Deckmantel einer »privaten Initiative« aufgerufen. Die einzige kleine Gegenkundgebung von AntirassistInnen am Rande der Aufzugstrecke wurde von der Polizei abgedrängt und isoliert. Von diesem Erfolg beflügelt, wurde auf Facebook und in Neonaziforen gleich zum nächsten Aufmarsch zwei Wochen später aufgerufen.
In Anbetracht der Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Pogrom von Hoyerswerda zu Beginn der 1990er Jahre war den sächsischen Antifa- und Antiragruppen klar, dass es hier dringend einer deutlichen Intervention bedurfte. Insbesondere deswegen, weil Hartung und die NPD weitere Aktionen angekündigt hatten und vor Ort keine engagierte Gegenwehr zu erkennen war. Unter dem Label »Refugees Welcome« (»Flüchtlinge willkommen«) wurde eine Antira- und Antifainitiative organisiert, um sich für die Geflüchteten einzusetzen und sich gegen den rassistischen Mob zu stellen.
Zu Beginn waren es vor allem rechtsoffene Hooligangruppen, NeonaziaktivistInnen und die NPD, die gegen die Außenstelle der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in Schneeberg protestierten. Doch dieses Bild änderte sich schnell. Bereits beim zweiten Aufmarsch am 2. November 2013 waren es »nur« um die 300 Neonazis, jedoch begleitet von 700 BürgerInnen der Stadt und aus den umliegenden Ortschaften. Zu einer Gegendemonstration kamen 500 Antifa- und Antira-AktivistInnen aus ganz Sachsen. Das Statement war klar: Wenn rassistische Einstellungen hier zu einer Eskalation führen sollten, wird dies nicht ohne Gegenwehr bleiben. Aufgrund der linken Intervention änderte sich die lokale wie auch überregionale Berichterstattung, und ein Bündnis mit dem Namen »Schneeberg bleibt bunt!« wurde initiiert.
Dieses schnell geschmiedete Bündnis der DemokratInnen zur Aufrechterhaltung des Images der Stadt Schneeberg als »weltoffen« rief sogar den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf den Plan. Er sprach sich für einen menschlichen Umgang und für Mitgefühl gegenüber den Geflüchteten aus. Dies mutet seltsam an, ist Markus Ulbig doch die treibende Kraft auf Bundesebene für die Verkürzung der Bearbeitungsdauer der Asylanträge von sechs auf drei Monate. Der Freistaat Sachsen hält derzeit die traurige Spitzenposition bei den Abschiebungen im gesamtdeutschen Vergleich und hat keinen Winterabschiebestopp im Jahr 2013/2014 gewährt.
Eine ganz normale Kleinstadt
Schneeberg liegt im sächsischen Erzgebirge. Seit den 1990er Jahren verringerte sich hier die Bevölkerung durch wirtschaftliche Umorientierungen um 17 Prozent. Dennoch ist die Bedeutung der Region als Tourismus- und Wirtschaftsstandort in Sachsen wichtig. Dabei stellen kleine mittelständische Betriebe aus dem Elektro- und Metallgewerbe den Großteil der Wirtschaftsbetriebe. Die Arbeitslosenquote im Erzgebirgskreis liegt mit 8,9 Prozent im sächsischen Durchschnitt. Für eine mittlere Kleinstadt mit 14.500 EinwohnerInnen ist Schneeberg eher dörflich geprägt. Das gesellschaftliche Leben konzentriert sich auf einen kleinen Bereich rund um den Marktplatz und die Kirche. Die wenigen öffentlichen Veranstaltungen beschränken sich meist auf Brauchtumspflege oder heimatkundliche Aktivitäten sowie Sportangebote.
Der Stadtrat ist fest in Hand der CDU (13 Sitze von 22), die demokratische Opposition bilden Linke (4) und eine Fraktion aus SPD und Freien Wählern (4), während die NPD mit einem Ergebnis von vier Prozent einen Sitz inne hat. Einen entscheidenden Einfluss auf die Meinung und die Debatten vor Ort haben außerdem Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) und – in einem für den Osten Deutschlands ungewöhnlich christlich geprägten Umfeld – die VertreterInnen der evangelischen Kirche, wie Pfarrer Frank Meinel.
Was anderswo als selbstverständlicher Bestandteil einer Zivilgesellschaft abseits von Parteien, Unternehmen und Kirchen angesehen wird, beispielsweise engagierte Sportvereine, Jugendgruppen, Bürgerinitiativen und ähnliches mehr, gibt es in dieser Stadt entweder nicht oder fristet ein Schattendasein. Eine für Sachsen typische rechtsoffene Grundstimmung in Schneeberg und Umgebung macht es den im Erzgebirgskreis eingesessenen Neonazistrukturen leicht, ihre rassistische Hetze in breitere Gesellschaftsschichten zu tragen.
Wenn ein rassistischer Mob wie in Schneeberg auf die Straße geht, ist es wichtig, sich diesem entgegenzustellen. Aber so notwendig eine kurzfristige (linksradikale) antifaschistische Intervention auch ist, geht es doch vor allem um das weitere Vorgehen. Antifaschistische »Feuerwehrpolitik« hilft also nur im ersten Moment weiter; für nachhaltige Erfolge bedarf es längerfristiger, antirassistischer Arbeit. Die antifaschistischen Demonstrationen hatten in Schneeberg den unmittelbaren Zweck des Schutzes der in der ZAST untergebrachten Flüchtlinge. Sie sorgten für viel Aufsehen in Bezug auf die rassistische Problematik und polarisierten die Öffentlichkeit.
Antifa-Feuerwehr reicht nicht
Durch solche Interventionen wird ein Handlungsdruck erzeugt, der besonders auf diejenigen wenigen lokalen AkteurInnen wirkt, die dem Anliegen grundsätzlich wohlgesonnenen gegenüberstehen. Wenn dieser Handlungsdruck nicht durch Unterstützungsangebote der intervenierenden Gruppen abgefedert wird, entsteht aufgrund mangelnder Erfahrung im Umgang mit rassistischer Hetze oft das Gefühl von Überforderung. Somit bleibt die Intervention durch eine Demonstration von außen reine Feuerwehrpolitik. Die weiteren Aktivitäten vor Ort erschöpfen sich schnell in Bemühungen um das Image der Stadt als »weltoffen und bunt«.
In Schneeberg zeigte sich die Überforderung darin, dass die Angebote von außen in der kurzen Zeit zwischen zwei »Lichtelläufen« nicht umgesetzt werden konnten. Durch äußeren Druck wurde zwar eine Polarisierung und Spaltung der Schneeberger Bevölkerung erreicht. Der Weg zu einer eindeutig antirassistischen Positionierung, um letztendlich Handlungsfähigkeit zu erreichen, benötigt allerdings mehr Zeit. Diese Gemengelage führte dazu, dass viele auswärtige AntifaschistInnen lieber dem »Kaff« die Meinung geigten, als sich langfristig mit den lokalen Problemen zu beschäftigen. Und ist die Antifa dann wieder abgezogen, läuft der rassistische »Normalzustand« weiter, bis die Situation wieder soweit eskaliert, dass die Antifa zurückkommen muss – ein Teufelskreis der Interventionspolitik.
Wir halten es daher für zwingend notwendig, lokale Strukturen im Abwehrkampf gegen rechts durch das Wissen und die Erfahrungen antifaschistischer und antirassistischer Intervention zu stärken. Der Wissenstransfer seitens erfahrener AktivistInnen an Lokale muss einhergehen mit einem Abgleich der politischen und gesellschaftlichen Zustände und Verhältnisse vor Ort.
Kaum kritische Zivilgesellschaft
Für Schneeberg konnten erste Angebote durch gute Vernetzung mit rassimuskritischen Initiativen aus Sachsen geschaffen werden. Der Bürgermeister wie auch das Bündnis Schneeberg bleibt bunt zeigen Interesse an öffentlich zugänglichen Workshops zum Thema Rassismus, an Ausstellungen zu Perspektiven geflüchteter Menschen, und halten sich die Option für Kulturangebote in Form von Konzerten und Lesungen offen. Dies führt bei vorerst kleinen Teilen der lokalen Bevölkerung zu einem Umdenken in Bezug auf rassistische Positionen. Dadurch wiederum wird eine rassismuskritische Öffentlichkeit in Schneeberg wahrnehmbar. Sehr wirksam ist dieser Prozess derzeit noch nicht, stellt aber den Ohnmachstgefühlen eine Handlungsoption gegenüber.
Bei der Zusammenarbeit mit den lokalen Strukturen kommen bei uns immer wieder Fragestellungen auf, die offen diskutiert werden müssen: Wie kann auch längerfristige antirassistische Arbeit gestaltet werden, und wann ist der Punkt erreicht, an dem sie nicht nur Interventionspolitik von außen ist? Wie muss dies gestaltet werden, damit sich vor Ort eine antifaschistische Präsenz entwickeln kann?
Ziel muss eine klare rassismuskritische Positionierung lokaler AkteurInnen sein. Und auch das ist eine Erkenntnis aus den 1990er Jahren: Wenn antirassistische Arbeit nicht gemeinsam und auf einer Augenhöhe mit den Geflüchteten selbst stattfindet, verfallen linksradikale Interventionen in paternalistische Stellvertreterpolitik. Der Abgleich zwischen verschiedenen regionalen Aktiven ist wichtig, um Erfahrungen auszutauschen und das self-empowerment aller Beteiligten zu stärken. Allerdings bleiben auch bei uns Fragen offen: Wie kann eine längerfristige Interventionspolitik aussehen, ohne dass es in eine linke Sozialarbeitertätigkeit abgleitet?
Konstruktiv, bürgernah – Autonome Antifa? Viele radikale AntifaschistInnen werden jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich fragen, warum sie Aufgaben zivilgesellschaftlicher Initiativen übernehmen sollen. In Sachsen ist die Antwort relativ leicht: Es gibt kaum kritische Zivilgesellschaft im ländlichen Raum, und die Ressourcen sind begrenzt, da auch die wenigen Initiativen durch die Landespolitik an der kurzen Leine gehalten werden bzw. keinen Rückhalt in der Gesellschaft haben. Gerade aus diesem Grund erscheint eine gut durchdachte Interventionspolitik umso notwendiger, damit sich antirassistische und antifaschistische Initiativen herausbilden.
Die Gruppe Raddix aus Dresden beschäftigt sich mit rassismuskritischer Arbeit und antifaschistischer Intervention in Sachsen.