Quelle: ak 592, 18.3.2014
Die extreme Rechte in Europa schwimmt auf einer Welle der Zustimmung
Die Krise des Euro und der Europäischen Union (EU) hat die Frage der zukünftigen Bedeutung und Gestalt supranationaler Strukturen in Europa wieder deutlicher ins Zentrum politischer Debatten gerückt. In mehreren europäischen Ländern erhalten Parteien in Umfragen Spitzenwerte, die aus einer nationalistischen Perspektive heraus EU- bzw. Euro-Skepsis, aber auch -Ablehnung formulieren.
Anfang Februar 2014 ermittelte das Meinungsforschungsinstitut TNS Sofres, dass 32 Prozent der befragten Franzosen und Französinnen dem Parteiprogramm des Front National (FN) zustimmen. Allerdings lehnen zwei Drittel der Befragten den von Marine Le Pen geforderten Austritt aus der EU ab. Mit Blick auf die Kommunalwahlen Ende März und die Europawahlen im Mai schlägt die FN-Chefin nun verstärkt rassistische Töne gegen MigrantInnen an.
Auch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) kann rekordverdächtige Zustimmungswerte verzeichnen. Und in England und Wales setzt die rechtspopulistische United Kingdom Independent Party (UKIP) insbesondere die Konservativen unter Druck. Selbst die im Vergleich dazu unbedeutende NPD macht sich nach dem Fall der Dreiprozenthürde Hoffnung, den ehemaligen Parteichef Udo Voigt ins Europäische Parlament entsenden zu können.
Europa-Ideen der extremen Rechten
Die häufige Feststellung, die extreme Rechte sei »europafeindlich«, trifft so nicht zu. Vielmehr vertritt sie alternative Entwürfe völkischer, staatlicher und suprastaatlicher Ordnung, die mit liberalen und demokratischen Vorstellungen konkurrieren.
Bereits in der Zwischenkriegszeit existierten mehrere Europadiskurse autoritär-nationalistischer und extrem rechter Provenienz. Durchgesetzt hat sich die nationalsozialistische Europakonzeption. Sie verband die Eroberung von »Lebensraum« im Osten mit der Etablierung eines vom Deutschen Reich kontrollierten »Großraums«, dessen innere Struktur an rassistischen Kriterien ausgerichtet war. Die Tarnung deutscher Hegemonialpolitik als Europa-Idee und die Charakterisierung des Krieges gegen die Sowjetunion als »europäischer Einigungskrieg« finden sich noch heute im Diskurs der extremen Rechten.
Ihre breit gefächerte Kritik gegenüber der EU ist im Kern völkisch-nationalistisch. So formuliert etwa der NPD-Kader Ingmar Knop: »Denn dies ist das eigentliche und letzte Ziel der Europäischen Union: die Wege zu ebnen für den endgültigen Triumphzug der internationalen Hochfinanz, für die Abschaffung selbstbestimmter und ihre Kultur liebende Völker und für deren Knechtung in einem durch nichts als schrankenlose Konkurrenz definierten Einheitsmenschenbrei.«
Was »Europa« im Kern ausmache, darüber gibt es in der extremen Rechten Europas unterschiedlich Auffassungen. Während die einen eine christlich-abendländische Prägung behaupten, deklamieren andere einen germanisch-heidnischen Charakter. Auch lassen sich die als Alternative zur EU entworfenen Modelle einer »europäischen Ordnung« vier Typen zuordnen: das »Europa der Vaterländer«, das Konzept des Reiches, das »Europa der Regionen« und der »Eurasismus«. Der »Eurasismus« wird am dezidiertesten vom Theoretiker eines großrussischen Reiches Aleksandr Dugin vertreten. Das Konzept des Reiches als supranationale Struktur ist hingegen stark auf eine deutsche Hegemonie zugeschnitten und historisch insbesondere unter Verweis auf das Staufer-Reich begründet.
Deutlich mehrheitsfähiger im Reigen der europäischen extremen Rechten dürfte das Konzept eines »Europa der Vaterländer« bzw. »Europa der Nationen und Regionen« sein. Es orientiert sich an der Idee eines Staatenbundes, der die nationalstaatliche Souveränität, insbesondere in der Wirtschaft und bei der Kriegsführung, kaum einschränkt und in mancher Lesart den Regionen identitätsstiftende Funktion zuweisen möchte.
(Pan-)Europäische Zusammenarbeit
Nach dem Sieg der Alliierten über das NS-Regime kam es rasch zu Ansätzen der Reorganisation faschistischer Netzwerke, die sich als paneuropäisch verstanden und für eine »Nation Europa« eintraten. Entsprechende Initiativen zum Aufbau europaweiter Strukturen in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren waren aber wenig erfolgreich.
Auch das Europäische Parlament wurde zu einem weiteren Ort der internationalen Absprachen und Fraktionsbildungen, die jedoch häufig von pragmatischen Kriterien, d.h. der Verbesserung des Zugriffs auf Ressourcen, beeinflusst war. Bereits im Vorfeld der ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament 1979 gab es den Ansatz einer Sammlung um die französische Parti des Forces Nouvelles (PFN), die spanische Fuerza Nueva sowie der italienische MSI-DN.
Nach der Wahl 1984 bildeten der Front National, der MSI-DN sowie die griechische E.P.EN die Fraktion der Europäischen Rechten, die wenig später durch einen Abgeordneten der nordirischen Ulster Unionist Party Zuwachs erhielt. Als Technische Fraktion der Europäischen Rechten fungierte nach der Wahl 1989 eine Kooperation zwischen dem FN, dem Vlaams Blok (VB) und den Republikanern (REP) aus der Bundesrepublik. Weitergehende Absprachen scheiterten an Interessengegensätzen, so etwa gegenüber dem MSI-DN mit Blick auf den Status Südtirols.
Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 haben die meisten der größeren und etablierten extrem rechten Parteien ihre Stimmenanteile konsolidieren können; allerdings blieben der Front National und die FPÖ hinter den eigenen Erwartungen zurück. In Lettland konnte die LNNK (Tevzemei un Brivibai/Für Vaterland und Freiheit) knapp 30 Prozent der Stimmen gewinnen; in Polen erreichten die PiS (Prawo i Sprawiedliwosc/Recht und Gerechtigkeit) zwölf Prozent und die LPR (Liga Polskich Rodzin/Liga der Polnischen Familien) 16 Prozent.
Im Europaparlament bildete sich nach der Entsendung von Abgeordneten aus Rumänien und Bulgarien infolge des EU-Beitritts zum 1. Januar 2007 die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS). Ihr gehörten VertreterInnen des FN, der Großrumänienpartei, der bulgarischen Ataka, der FPÖ sowie der italienischen Fiamma Tricolore und Alternative Sociale an. Die Kooperation zerbrach rasch, da die fünf rumänischen Abgeordneten der Partidul România Mare aus Protest gegen rassistische Äußerungen von Alessandra Mussolini austraten.
Im Jahr 2009 gab es einerseits Zugewinne für die PVV (Partij voor de Vrijheid/Partei für die Freiheit) von Geert Wilders, die FPÖ, die ungarische Jobbik, die Dänische Volkspartei (DVP), die British National Party (BNP), die italienische Lega Nord, die Wahren Finnen sowie die griechische LAOS; andererseits verloren der Front National, der Vlaams Belang, die Ataka, die LNNK und die LPR zahlreiche Sitze. Die Kooperation der meisten Abgeordneten dieser Parteien findet bis heute als parlamentarische Gruppe unter der Bezeichnung Europa für Freiheit und Demokratie statt.
Fortbestehende Differenzen mit Folgen
Der Erfolg der Schweizer Volkspartei beim Referendum gegen die Arbeitsmigration Anfang Februar 2014 ist europaweit von extrem rechten und nationalkonservativen Parteien und Organisationen begrüßt worden. Sie erhoffen sich davon auch eine Signalwirkung für eine striktere Einwanderungs- und Asylpolitik in ihren jeweiligen Nationalstaaten. Sieht man von der nationalistischen Kritik an der EU ab, so gibt es in diesem Punkt die größte Gemeinsamkeit in diesem Spektrum. Eine Verschärfung der Zuwanderungsregeln, die Ablehnung muslimischen Lebens in Europa und eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union markieren zentrale Pfeiler der Übereinstimmung.
Zugleich gibt es aber auch bedeutsame politische Differenzen, die die Bildung einer gemeinsamen und handlungsfähigen Fraktion im zukünftigen Europaparlament zu einer schwierigen Aufgabe machen. Dazu zählen vor allem die mit der Grundcharakterisierung als autoritär-faschistisch (z.B. BNP, Jobbik, Goldene Morgenröte) bzw. einwanderungsfeindlich-ethnozentristisch (z.B. DVP, PVV) verbundenen Unterschiede.
Daneben bestehen aber auch fortbestehende Differenzen über Grenzverläufe und nationale Minderheiten, das Fortleben antisemitischer Denkfiguren und Praxen sowie unterschiedliche Schlussfolgerungen hinsichtlich der zukünftigen Beziehungen zur EU. So fordern etwa der Front National und die UKIP einen Austritt ihrer Länder, während andere eine Umgestaltung favorisieren. Weitere Unterschiede gibt es in der wirtschaftspolitischen Programmatik (von neoliberal bis protektionistisch) sowie in der außenpolitischen Orientierung gegenüber den USA, die sich auch im Falle von Militäreinsätzen zeigt.
Um eine eigene Fraktion im Europäischen Parlament zu bilden und damit Zugang zu erheblichen Ressourcen zu erhalten, müssen sich mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten zusammenfinden. Auch wenn die extrem rechten, nationalkonservativen und immigrationsfeindlichen Parteien insgesamt die Zahl ihrer Sitze im Europäischen Parlament erhöhen können, wird die Bildung einer auf Dauer arbeitsfähigen Fraktion kein Selbstgänger sein. Freilich darf dabei nicht übersehen werden, dass Wahlerfolge dieser Parteien auch auf das politische Geschehen in den einzelnen Nationalstaaten zurückwirken.
Welche Verbindung die reaktionäre Alternative für Deutschland nach ihrem Einzug ins Europaparlament eingehen wird, ist noch nicht absehbar. Erste Gespräche hat es mit der UKIP gegeben, die in jüngster Zeit ihre Einwanderungsgegnerschaft betont hat; letztlich wird die Entscheidung aber stark davon abhängen, ob die AfD ihren Weg nach rechtsaußen fortsetzen wird.